Aber Moment mal… woher kommt die Idee, dass das Becken im Krieger I parallel nach vorne ausgerichtet sein sollte?
Die Idee, dass das Becken in Krieger I parallel nach vorne ausgerichtet sein muss, stammt aus bestimmten modernen Yoga-Traditionen, insbesondere aus dem Alignment-basierten Yoga (z. B. Iyengar Yoga). In keinen klassischen Yoga-Schriften (wie den Yoga Sutras von Patanjali, der Hatha Yoga Pradipika oder den Gheranda Samhita) gibt es eine spezifische Anweisung, dass das Becken in Krieger I (Virabhadrasana I) parallel ausgerichtet sein muss.
Woher kommt diese Anweisung?
In vielen Yoga-Schulen (vor allem in westlichen Stilen) wird gelehrt, dass das Becken in Krieger I „nach vorne zeigt“, um eine quadratische Ausrichtung zur Mattenvorderseite zu erreichen. Diese Anweisung hat vermutlich den Zweck, die Streckung des Hüftbeugers (psoas) auf der hinteren Seite zu intensivieren und eine stabile, aufrechte Haltung zu fördern. In Iyengar-Yoga wird z. B. häufig gesagt, dass beide vorderen Hüftknochen (vordere obere Darmbeinstachel) gleichmäßig nach vorne zeigen sollen und der hintere Fuß um 90° nach außen rotieren soll, was sogar zu einem höheren Verwindungsdruck im Becken führen kann, wenn das hintere Bein in dieser Außenrotation bleibt.
Eine andere Quelle und Befürworter der Symmetrie im Körper sind manche Westliche Bewegungstherapie und Physiotherapie aus deren Theorien viele Alignment-Regeln im modernen Yoga sich beziehen, die sich auf symmetrische Ausrichtung konzentrieren.
Ist bei allen Yoga Stilen der Fall?
Nein! In Ashtanga Yoga, das auf dem alten Krishnamacharya-System basiert, wird keine starre Beckenposition gefordert (s. Yoga Mala von S.K.P. Jois – Keine Anbgabe über die Position des Beckens). Hier sieht man oft eine natürliche leichte Öffnung des hinteren Hüftknochens anstatt das Becken erzwungen parallel zu halten. In der Jivamukti Yoga Tradition, z.B. wird oft den „energetischen“ Ausdruck der Haltung mehr als eine starre Ausrichtung betont – das bedeutet, dass das Becken „mit der Bewegung fließen“ darf, statt fixiert zu sein. In indischen Yogatraditionen gibt es oft mehr Fokus auf den Energiefluss als auf statische geometrische Linien. In L. Kaminoffs „Yoga Anatomie“ finden wir auch Hinweise auf unterschiedliche Anpassungsmöglichkeiten (durch unterschiedlich ausgeprägte Fußaußenrotation) in Verbindung mit dem Beweglichkeitsgrad des Hüftgelenks und des unteren Rückens.
Fazit:
Probiere Dich aus und spüre in deinen Körper nach, was sich besser anfühlt. Und, falls du unterrichtest, lasse diese Möglichkeit deinen Schüler*innen auch!
Bibliographie:
- S.K.P. Jois, Yoga Mala
- Swami Svâtmarâmâ, Hatha Yoga Pradipika
- B.K.S. Iyengar, Yoga
- N.E. Sjoman, The Yoga Tradition of the Mysore Palace
- S.T. Krishnamacharya, Yoga Makaranda
- S. Gannon, D. Life, Yoga der Befreiung